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Wenn Sie jemand fragen würde: "Kennen
Sie den Pfarrer Wolferinus?" werden Sie gewiß mit "Nein!"
antworten. Denn Sie können ihn ja auch gar nicht kennen: Er ist nämlich schon
mehr als 400 Jahre tot. Dennoch sind Sie ihm aber bestimmt schon begegnet,
jedenfalls in seinen Meinungen und Überzeugungen. Diese leben offensichtlich
unausrottbar weiter. Die meisten, die diese heute weitertragen, meinen sogar,
sie verträten damit Luthers Position, obwohl es doch nur die Meinung des
Pfarrers Wolferinus ist. Beim Lesen der nachfolgenden Ausführungen fallen Ihnen
vielleicht von allein Namen solcher Leute ein. Am Ende werde ich Ihnen deshalb
die Frage "Kennen Sie den Pfarrer Wolferinus?" noch einmal stellen.
Worum handelt es sich? Wolferinus war
Pfarrer in Luthers Geburts- (und späterem Sterbe-) Ort Eisleben. Daß der
Reformator gerade von dort einige abwegige Überzeugungen eines Pfarrers hören
mußte, war ihm besonders schmerzlich. Wolferinus hatte nämlich die Meinung
vertreten: "Das Sakrament ist nur Sakrament im Akt des Vollzuges".
Deshalb - so folgerte er - brauche man sich nicht darum zu kümmern, ob nach der
Abendmahlsfeier noch etwas von dem gesegneten Brot und Wein übrig bleibt. Im
Gegenteil: Er meinte, es sei "Schwärmerei", "Gehässigkeit"
und "unnatürliche Unwissenheit", zu meinen, wenn konsekriertes Brot
und konsekrierter Wein nach vollendeter Abendmahlsfeier übrigbleibe, sei dies
noch Sakrament. Im Gegenteil: Das übriggebliebene sei nur Brot und Wein, als
sei es nie vom Segenswort Christi getroffen. Luther war darüber entsetzt und
hat in zwei Briefen darauf mit heftigen Worten geantwortet. Er hielt Wolferinus
vor:
"Woher hast du diesen deinen
besonderen Frevel, indem du dich nicht enthältst von solchem bösen Schein? Du
hättest wissen sollen, daß es ein Ärgernis ist, wenn du den übrigen Wein und
Brot (wie du es nennst) mit dem vorigen Wein und Brot vermengst. Wessen Beispiel
folgst du damit? Du siehst wahrhaftig nicht, was für gefährliche Fragen du
aufwirfst, wenn du in deinem überschwenglichen Verstande erstreiten willst, daß,
wenn die Austeilung, das Geben und Nehmen aufhöre, auch das Sakrament aufhöre.
Willst du etwa, daß man dich für einen Zwinglianer halten soll? Ich wollte
bald glauben, du liegst schon krank darnieder an solcher zwinglianischen
Unsinnigkeit"
Als der Pfarrer Wolferinus sich daraufhin
rechtfertigen wollte, weil er sich mit seiner Meinung doch auf einen gelehrten
Professor der Theologie berufen konnte, schrieb Luther ihm noch einen zweiten,
noch deutlicheren Brief. Darin heißt es:
"Ihr werdet damit erreichen, das ihr
dafür angesehen werdet, als habet ihr überhaupt kein Sakrament mehr. Denn wenn
solch eine Verkürzung des Sakramentes bestehen sollte, würde daraus folgen müssen,
daß nach dem gesprochenen oder gesungenen Worten (= der Konsekration), der
vornehmsten, und vollmächtigsten Handlung im Sakrament, niemand Leib und Blut
Christi wird empfangen können, das ... würde ... unzählige Bekümmernisse der
Gewissen und unendliche Fragen heraufbeschwören, ..."
Damit hat Luther den Schwachpunkt in den
Anschauungen des Pfarrers Wolferinus aufgedeckt. Als dieser nämlich beteuerte
"Das Sakrament ist Sakrament im Akt des Vollzuges" hatte er ganz
vergessen (oder bewußt unterschlagen?), daß ein wesentlicher Teil der von
Christus mit den Worten "Tut dies zu Meinem Gedächtnis" eingesetzten
Abendmahlshandlung das Sprechen der Worte ist, die der HErr dabei selbst sprach.
Der Pfarrer spricht oder singt sie bei der Abendmahlsfeier an Christi Statt. Er
tut dies in Christi Namen. Die Einsetzungsworte bleiben auch im Munde des
Pfarrers Christi eigene schöpferischen Worte. Sie haben die wirkende Kraft, wie
Luther immer wieder betont hat. Einmal nannte er sie darum "die göttlichen,
allmächtigen, himmlischen, heiligen Worte, die Christus im Abendmahl mit seinem
heiligen Munde selbst sprach und zu sprechen befahl". Diese Worte bewirken,
daß Brot und Wein nun Leib und Blut Christi sind. Man darf also die Bedeutung
dieser Worte nicht nur in ihrem (freilich auch sehr wichtigen) Verkündigungscharakter
sehen.
Folgerichtig und selbstverständlich ist
daher, daß gesegnetes Brot und gesegneter Wein stets von Ungesegnetem genau zu
unterscheiden ist. Luther hat darum u.a. ausdrücklich angeordnet, nur soviel
Brot und Wein zu konsekrieren, wie in der jeweiligen Abendmahlsfeier benötigt
wird und etwa übrigbleibendes innerhalb der Abendmahlsfeier zu verzehren. Der
Reformator wollte, daß in dieser Hinsicht bei der Abendmahlsfeier mit größter
Sorgfalt verfahren wird, und es ist unverkennbar, daß es ihm dabei um das
Herzstück des Abendmahlsglaubens ging: Die Realpräsenz, d.h. die wirkliche und
wahrhafte Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Brot und Wein des Heiligen
Abendmahles, durch die Christus seine Gnade schenkt.
Solche Sorgfalt ist natürlich nicht nötig,
wenn jemand sagt: "Das Sakrament sei nur Sakrament im Akt des
Vollzuges". Wolferinus und seine Meinungsgenossen waren allerdings (ebenso
wie heutige Vertreter solcher Überzeugungen) bereit, zuzugestehen, daß man das
vom Heiligen Abendmahl übrigbleibende nicht einfach achtlos wegschütten solle.
Aber dieses "Zugeständnis" hatte seinen Grund nicht etwa darin, daß
sie das Konsekrierte als Christi Leib und Blut ansahen, sondern nur in einer
gewissen "Pietät" und darin, daß es so viele Unverständige gebe,
die an einem achtlosen Umgang mit dem Allerheiligsten Anstoß nehmen könnten.
Mit welcher Ehrfurcht - ausgehend vom
Realpräsenzglauben aber mit dem Sakrament umzugehen ist, dafür gibt es
jedenfalls aus der lutherischen Kirche vielerlei Zeugnisse, auf die hier aus
Platzgründen nicht eingegangen werden kann. Man kann jedenfalls sagen, daß das
Moment der Ehrfurcht durchaus theologisch begründet ist, denn es ist ein Akt
der Frömmigkeit gegenüber dem, was Christus gesegnet hat. (Heute wird von
manchen die Meinung vertreten, eine solche Ehrfurcht sei theologisch nicht zu
begründen.)
Im Bekenntnis der lutherischen Kirche (Konkordienbuch)
ist dieser Abendmahlsglaube Luthers klar bewahrt. Dort heißt es:
"daß die wahre Gegenwärtigkeit des
Leibes; und Blutes Christi im Abendmahl allein des allmächtigen Gottes Kraft
und unseres Herrn Jesu Christi Wort, Einsetzung und Ordnung zugeschrieben
werden."
Es wird betont, daß das Wort Christi nicht
nur im ersten Abendmahl schöpferisch gewesen ist, sondern überall in gleicher
Weise bewirkend ist, wo das Abendmahl
"nach Christi Einsetzung gehalten
wird und seine Worte gebraucht werden. ... Die Worte werden durch des Priesters
Mund gesprochen, aber durch Gottes Kraft und Gnade, durch das Wort, da Er
spricht: "Das ist mein Leib", werden die fürgestellten Element im
Abendmahl gesegnet..."
Der Pfarrer Wolferinus, der dies vergaß,
ist freilich kein Einzelfall. Es mehrte sich schon zu Luthers Lebzeiten die Zahl
derer, die sagten "Das Sakrament ist nur Sakrament im Akt des
Vollzuges". Solche Leute konnten darum den Gemeindegliedern keine klare
Auskunft mehr darüber geben, was sie denn eigentlich aus der Hand des Pfarrers
empfangen, wenn sie bei dem im Namen Jesu Christi gefeierten Heiligen Abendmahl
zum Altar kommen. In Frankfurt am Main gab es zum Beispiel solche Pfarrer. Sie
drückten sich ihren Gemeindegliedern gegenüber um eine klare Aussage herum und
antworteten nur mit der alles verschleiernden Antwort: Es sei der Leib,
"den Christus meint". Dazu hat Luther mit seiner bekannten drastischen
Sprache Stellung genommen, indem er denen, die so redeten, vorwarf, sie redeten
wie jemand, der den Mund voller Brei hat und nur noch "Mumm-Mumm"
sagen kann, ja, die dahinterstehende Haltung bezeichnete er als heuchlerische
Gaukelei und betrügerisches Hütchenspiel: "Denn es sind wohl an vielen
Orten (wie es mich tröstet) Leute, die fortan ebenso lehren wie wir, andere
aber ... drehen ihre Worte anders, behalten aber gleichwohl ihre vorige, falsche
Meinung im Sinn und Gebrauch, sagen mit dem Munde, es sei Christus Leib und Blut
wahrhaftig gegenwärtig im Sakrament. Wenn nun solches der einfältige Mann hört,
so geht er darauf hin zum Sakrament, empfängt aber doch nur Brot und Wein. Denn
ihre Lehrer geben auch nichts mehr und meinen auch nichts mehr. ... Ihre
heimliche Überzeugung ist, daß der wahrhaftige Leib und Blut Christi doch nur
geistlich und nicht leiblich im Sakrament gegenwärtig sei, und werde allein im
Herzen mit dem Glauben empfangen und nicht leiblich mit dem Munde ... Siehe,
wird da nicht ein teuflisches Gaukelspiel mit den Worten Christi getrieben, und
die einfältigen Herzen so schändlich um ihr Sakrament betrogen und
beraubt?"
Darum gibt Luther den darüber unsicher
gewordenen Gemeindegliedern den Rat, ihren Pfarrer hierüber um eine klare
Antwort zu bitten:
"... So gehe oder sende frei zu ihm
und laß dir deutlich heraus sagen, was das sei, was er dir mit seinen Händen
reicht und du mit deinem Munde empfängst, laß auf diesmal außer acht, was man
im Herzen glaube oder nicht glaube, sondern frage schlicht, was Hand und Mund
hier fasset. ..."
Daß die Gemeindeglieder ihren Pfarrer so
befragen sollen, begründet Luther so:
"... Hier gilt es, nicht den Brei im
Maul zu wälzen und Mum-Mum zu sagen, Man muß die Leute nicht lehren: Glaube
den Leib, den Christus meinet, sondern ... sie sollen das Mummen lassen, frei
und dürr heraus sagen, ob man mit dem Munde eitel Brot und Wein empfange, ...
Hier soll man den Gemeindegliedern sagen, was Brot und Wein sei im Sakrament,
und ihnen nicht etwas im Sacke verkaufen. Denn es gilt hier nicht, so unter dem
Hütlein zu spielen und im Finsteren zu mausen."
Man spürt es diesen Worten ab, wie sehr
Luther selbst im Bekenntnis zum wahren Leib und Blut Jesu Christi im Brot und
Wein des Altarsakramentes lebte und mit wieviel seelsorgerischem Ernst er sich
darum mühte, dem einzelnen Christen die Gewißheit der Gnade und Vergebung, die
uns dadurch geschenkt wird, zu vermitteln und erhalten. Eine solche ernste
seelsorgerliche Bemühung steht auch hinter Luthers Bekenntnis zur Elevation,
jenem uralten Brauch, Leib und Blut Christi beim Heiligen Abendmahl nach den
Segensworten Christi feierlich emporzuheben. Obwohl auch Luther zeitweise
meinte, er sei ein Ausdruck der spätmittelalterlichen Meßopfertheologie, die
von ihm von Anfang an abgelehnt und bekämpft wurde, sah er ihn in einer anderen
Deutung. Die Elevation hatte für ihn nun Verkündigungscharakter: Denn durch
das Emporheben der Hostie und des Kelches bringt der Pfarrer nach der
Konsekration zum Ausdruck: Dies ist der Leib und Blut Christi, für euch gegeben
und vergossen!)
Aber Leute wie der Pfarrer Wolferinus
nahmen an der Elevation Anstoß und verlangten ihre Abschaffung. Denn sie
lehnten Luthers Realpräsenzglauben überhaupt ab. Deshalb wurde die von ihnen
geforderte Abschaffung der Elevation in der Öffentlichkeit als ein Abrücken
vom Realpräsenzglauben gedeutet. Mit Leidenschaft hat Luther widersprochen, als
auch ihm so etwas unterstellt wurde, als nämlich in der Wittenberger
Stadtkirche die Elevation nicht gehalten wurde. Luther antwortete darauf:
"... ehe ich in meinem Gewissen
annehmen oder es auf mich laden wollte, daß ich darum die Elevation unterlassen
müßte, so daß ich mich dadurch als einen Christmörder, Kreuziger, Henker
achten sollte, wollte ich noch heutigen Tages die Elevation nicht allein
beibehalten, sondern, wo es an einer nicht genug wäre, drei, sieben, zehn
Elevationen anrichten helfen."
Und nun noch einmal die Frage vom Anfang:
"Kennen Sie den Pfarrer Wolferinus?" Wenn Sie bis hierher aufmerksam
gelesen haben und nun so gefragt werden, werden Sie gewiß nicht mehr mit einem
"Nein!" antworten. Denn es gibt auch heute - sogar unter Bischöfen
und Professoren - manch einen, der zwar nicht Wolferinus heißt, aber genauso
denkt wie er.
Der Name Wolferinus heißt auf deutsch
"Wölflein" oder "kleiner Wolf". Er erinnert zugleich an das
Wort JEsu von den Wölfen im Schafspelz. Vor ihnen warnt der HErr Seine Herde.
Sie sehen von außen so harmlos aus in ihrem Schafspelz und sind doch genauso
gefährlich wie Wölfe nun einmal sind. Nicht nur die kleinen, auch die großen
Wölfe im Schafspelz - wie zum Beispiel Johannes Calvin - sind bis heute der Überzeugung,
sie hätten Luther viel besser verstanden als Luther sich selbst verstand. Nur
irren sie sich darin, denn auf Luther und die Bekenntnisschriften können sie
sich nicht berufen, - erst recht nicht auf das Wort Jesu Christi.
Pfr. Jürgen Diestelmann, Braunschweig
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