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Unser Gottesdienst

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Einleitung

Wir sind zusammengekommen, um etwas über den christliche Gottesdienst zu hören. Mancher wird vielleicht erwarten, den Ablauf und die Bedeutung einzelner Bestandteile des Gottesdienstes erklärt zu bekommen. Wir können jedoch nicht gleich damit beginnen, daß wir uns den Verlauf des Gottesdienstes Punkt für Punkt vornehmen und durchsprechen. Dann wissen wir vielleicht, wie er gefeiert wird, aber noch lange nicht warum diese und jene Dinge so und nicht anders getan werden. Darum muß vorher etwas über das Wesen und den Zweck des christlichen Gottesdienstes gesagt werden. Dazu werden wir uns auch Gedanken über Wesen und Zweck der Kirche machen müssen. Wenn wir wissen, was der Gottesdienst eigentlich ist, können wir viel besser verstehen und mitvollziehen, warum diese und jene Dinge so und nicht anders getan werden. Später kann man dann auch den Verlauf des Gottesdienstes im Einzelnen durchsprechen. Manche Ergebnisse werden für uns neu und einige Gedanken vielleicht auch ungewöhnlich sein, anderes wird altvertraut sein.

Nun muß gleich eingangs gesagt werden, daß ein solches Thema, wenn man darüber arbeitet, einem unter den Händen immer größer wird. Wir können dieses Thema keineswegs erschöpfend behandeln. Das liegt auch daran, daß der Gottesdienst das Herz der Kirche ist. Alle Dinge christlichen Lebens und Seins sind damit verknüpft. Bewegt man die Mitte eines Netzes, bewegt man das Ganze. 

Gleich zu Beginn müssen wir auch folgendes bedenken: Der Gottesdienst der Kirche etwas Lebendiges. Wenn wir etwas Lebendiges sezieren, bringen wir es dadurch um. Lebendiges erkenne ich allein durch den Umgang mit ihm. So ist es auch mit dem Gottesdienst der Kirche. Freilich schließt das nicht Belehrung aus, sondern ein. Doch erschließt sich der Gottesdienst der Kirche nur von „innen her“. Nur der, der mit der Liturgie der Kirche lebt, wird Verständnis für sie aufbringen können. „Schon in der alten Kirche hatte man das erkannt: Gegenüber den Ungetauften bestand in Fragen des Gottesdienstes die sogenannte Arkandisziplin (d.h. Geheimhaltung vor Ungläubigen). Die Katechumenen (Taufbewerber) wurden vor ihrer Taufe nur in Fragen des christlichen Glaubens und Handelns unterwiesen. In den Abendmahlsgottesdienst führte man sie erst nach ihrer Taufe ein.“[1]

Das Problem

Auf den ersten Blick scheinen Äußerlichkeiten, wie gesungene, feierliche Gebete und farbige Gewänder das Charakteristikum unserer Gottesdienste schlechthin zu sein. Mancher fühlt sich vielleicht in ein Museum alter kirchlicher Riten und Gebräuche versetzt. Oder er hält uns für einen „Verein zur Pflege toter Traditionen e. V.“. Vermutlich müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen, ob es hier nicht um persönliche Vorlieben fürs Rituelle und Feierliche geht, die wir hemmungslos ausleben. 

Aber: diese äußerlichen Dinge, die anderen ins Auge fallen und an denen sie sich vielleicht stoßen, deuten auf eine dahinterstehende Wirklichkeit. Um diese Realität geht es allein. Hier soll über diese   - dem menschlichen Auge allerdings verborgenen - Tatsachen geredet werden.

 

Liturgie?

Sollte jemand unsere Gottesdienste beschreiben, so würden er sie wohl als „liturgisch“ bezeichnen. Viele verstehen darunter einen Gottesdienst, der in seinen Äußerlichkeiten und in seinem Ablauf bis in Einzelheiten hinein streng reglementiert ist. Mancher fragt sich dann vielleicht: Sollte innerhalb eines solch geregelten Ablaufs der Heilige Geist wirken können? 

Was ist das eigentlich: Liturgie? 

Das Wort „Liturgie stammt aus der griechischen Sprache. Es setzt sich aus den griechischen Wörtern für „öffentlich“ (= leitoj) und „Werk“ (= ergon) zusammen. In der griechischen Alltagssprache bezeichnete „Leiturgia“ einen öffentlichen Dienst zum Wohle der Allgemeinheit, etwa das Pflastern einer allen zugänglichen Straße durch einen Privatmann auf seine Kosten. 

In der Septuaginta (= griech. Übersetzung des AT, die zur Zeit der Apostel in den jüdischen Gemeinden außerhalb Israels Verwendung fand) wird dieses Wort für den priesterlichen Opferdienst in der Stiftshütte und im Tempel gebraucht 

In unserem heutigen Sprachgebrauch wird der Sinn des Wortes „Liturgie“ leider unangemessen eingeschränkt auf die Teile eines Gottesdienstes, die zwischen Gemeinde, Chor und dem Pastor im Wechsel ausgeführt werden. 

Als Liturgie wird aber genaugenommen der gesamte öffentliche Gottesdienst der Kirche bezeichnet.[2] Man nennt so die öffentliche gottesdienstliche Versammlung, in der sich die Gemeinde als Leib Christi um den in Wort und Sakrament gegenwärtigen Jesus Christus als ihrem Haupt versammelt, durch Sein Wort und Seine Sakramente mit Ihm und untereinander verbunden wird und so Gott, den Vater würdig loben kann. 

 

Darf es im Neuen Bund Vorschriften für den Gottesdienst geben?

Das NT

Wir Christen müssen (vielleicht neu) lernen, daß Heiliger Geist und Ordnung einander nicht ausschließen, sondern einander bedingen. Der Heilige Geist ist ein Geist der Ordnung und wirkt für gewöhnlich nur innerhalb der Ordnungen, die Er gegeben hat. Das bezeugt das NT.

Der Gottesdienst des Alten Bundes war, wie Bibelkenner wissen, bis in die Einzelheiten hinein streng geordnet. Wer sich auch nur ein wenig in die Gesetze und Bestimmungen der Torah zum Gottesdienst Israels vertieft, staunt über die Akribie, Sorgfalt und Genauigkeit, mit der dort die Details genannt werden. Immer wieder wird Mose und dem Volk Israel eingeschärft, sich genau an die gottesdienstlichen Gesetze zu halten. 

Gibt es im NT ähnliche Bestimmungen auch für die Gottesdienste des Neuen Bundes? Im Hebräerbrief lesen wir:

 Es hatte zwar auch der erste Bund seine Satzungen für den Gottesdienst und sein irdisches Heiligtum. 
(Hebr 9,1)

Wieso steht dort das Wort „auch“? „Es hatte zwar auch der erste Bund seine Satzungen für den Gottesdienst ...“ Das „auch“ kann doch nur bedeuten, daß es im Neuen Bund ebenfalls „Satzungen für den Gottesdienst“ gibt. Der christliche Gottesdienst, den die Empfänger des Hebräerbriefes kannten, war offensichtlich nicht ohne Regeln. Der Schreiber des Hebräerbriefes weist sie darauf hin, daß eben auch der Gottesdienst Israels „Satzungen für den Gottesdienst“ hatte. Darum heißt es wohl ein wenig später über diese Satzungen des alttestamentlichen Gottesdienstes: 

Dies sind nur äußerliche Satzungen ... , die bis zu der Zeit einer besseren Ordnung auferlegt sind.
(Hebr 9,10)

Hier wird deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Satzungen des Alten Bundes nicht ersatzlos gestrichen, sondern ersetzt werden durch „die richtige Ordnung“. Auch im Neuen Bund gibt es also offensichtlich hinsichtlich der Ordnungen des Gottesdienstes nicht eine hemmungslose Freiheit (sprich: Unordnung und Anarchie).

Wir finden im NT jedoch nicht so etwas wie eine Agende, d.h. eine „Ordnung für den Ablauf des Gottesdienstes“. Wir finden nur Hinweise auf die Bestandteile des urchristlichen Gottesdienstes. „Das Neue Testament berichtet von der ersten Gemeinde in Jerusalem: »Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet« (Apg 2,42). Man kann hierin eine Beschreibung des urchristlichen Gottesdienstes sehen: die Gemeinde kam zusammen, um die Lehre der Apostel zu hören, Gaben für die gegenseitige Unterstützung darzubringen (diesen Sinn hat hier das Wort »Gemeinschaft«), das Abendmahl zu feiern und zu beten. Wortverkündigung und Mahlfeier bildeten also von Anfang an einen einheitlichen Gottesdienst.“[3] 

Dieser Gottesdienst war nicht ohne Ordnungen - etwa in der Art eines „pfingstlerischen Irrenhauses“[4]. Gerade im 1 Kor 14 wird die korinthische Gemeinde, in der es in gottesdienstlichen Fragen drunter und drüber ging ermahnt, es beim Gottesdienst „in rechter Ordnung“[5] zugehen zu lassen. 

 

Der 1. Clemensbrief

Clemens Romanus schreibt etwa um das Jahr 95 n. Chr. - also noch zu Lebzeiten des Apostels Johannes - aus Rom bezeichnenderweise wiederum an die Korinther:

„Wir müssen alles ordnungsgemäß tun, was der Herr für verordnete Zeiten geboten hat: [es handelt sich um] den Vollzug der Opfer und Gottesdienste; er hat ja nicht geboten, sie sollten ohne Überlegung oder Ordnung stattfinden, sondern zu festgelegten Zeiten und Stunden; wo und durch wen er den Vollzug will, hat er durch seinen allerhöchsten Ratschluß selbst bestimmt, damit alles würdig zugehe und so in Wohlgefallen seinem Willen angenehm sei.“[6] 

Dieser Brief reicht noch in die apostolische Zeit hinein. Bei dem starken Traditionsbewußtsein der alten und ältesten Kirche ist kaum glaubhaft, daß es in Rom irgendwann zwischen 65 n. Chr. und 95 n. Chr. einen dramatischen Wechsel von „ungeordnet-charismatischen“ zu kultisch-sakralen Gottesdienstformen gegeben hätte. 

Wir können also davon ausgehen, daß die Grundstrukturen des Gottesdienstes und viele auch heute noch von uns verwendete Gebete aus der apostolischen Zeit und Überlieferung stammen. „Gottesdienstliche Formen und Gebräuche, liturgische Gesänge und Gebete haben sich in den Jahrhunderten wiederholt verändert, aber die Hauptelemente, die die Apostelgeschichte ... (nennt), sind bis heute im Gottesdienst der meisten christlichen Kirchen zu finden.“[7] So können wir wohl davon ausgehen, daß mindestens die Grundstrukturen des Gottesdienstes von den Aposteln geordnet wurden. 

Wir sollten uns an diese Überlieferung halten. Das jedoch nicht, weil sie einfach nur alt und ehrwürdig ist. Die Kirche ist kein Museum und der Gottesdienst keine liturgische Folklore. Durch das Empfangen, Befolgen und Weitergeben der Überlieferung zeigen wir, daß wir Teil der einen, heiligen, katholischen (=universalen), apostolischen Kirche aller Zeiten und Orte sind. Die Anordnung des Gottesdienstes, wie ihn diese Kirche seit Anbeginn feiert, ist sicher die angemessenste und sinnvollste. Wir tun gut daran, demütig die Weisheit der Väter anzunehmen.

 

Gottesdienst und Kirche

Der Gottesdienst der Gemeinde Jesu Christi ist keineswegs die Auftritt eines Alleinunterhalters, bei der die übrige Gemeinde auf die Rolle von Statisten und oder gar nur von Zuschauern herabgesetzt wird. Liturgie ist der ganze Gottesdienst der ganzen Gemeinde. Nicht nur der Diener am Altar ist der „Liturg“, sondern die ganze Gemeinde ist es. Genaugenommen ist der Liturg Jesus Christus selbst. Um das zu verstehen ist es nötig, kurz etwas über das Wesen der Kirche zu sagen. 

Das Wesen der Kirche

Was ist die Kirche? Wie entstand sie? Mit der alten Kirche wollen wir einen für uns vielleicht ungewöhnliche Weg zur Beantwortung dieser Fragen gehen. Im Schöpfungsbericht lesen wir: 

Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht. Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so daß er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloß ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen.
Gen 2,20-23

Adam nannte seine Frau Eva, denn sie wurde die Mutter aller Lebendigen.
Gen 3,20

Schon in der alten Kirche wurde dies auf die Verbindung Jesu Christi und seiner Kirche gedeutet. Wie einst Eva aus der Seite des schlafenden Adam gebildet wurde, so ging die Kirche als neue Eva und „Mutter aller Lebenden“ aus der geöffneten Seite des Gekreuzigten hervor. Auf diese Art und Weise hat Gott aus der Seite Christi dessen Braut, nämlich die Kirche, geschaffen. Wo der Kirchenvater Ambrosius († 397 n. Chr.) von der durchbohrten Seite Christi sprach, führte er aus: „Jetzt wird sie gebaut, jetzt gestaltet, jetzt gebildet und jetzt erschaffen. Jetzt erhebt sich der geistliche Bau zum heiligen Priestertum.“ Augustinus († 430 n. Chr.) schrieb: „Adam schläft, damit Eva werde, Christus stirbt, damit die Kirche werde.“[8]

Dies ist keine eigenwillige Auslegung alttestamentlicher Texte. Schon der Apostel Paulus sieht in dem Verhältnis von Mann und Frau ein Beispiel des Verhältnisses Christi zu seiner Kirche wenn er schreibt: 

Keiner hat je seinen eigenen Leib gehaßt, sondern er nährt und pflegt ihn, wie auch Christus die Kirche. Denn wir sind Glieder seines Leibes. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche.
Eph 5,29-32 

Von der Kirche kann also unser Herr zu Recht sagen: Sie gehört zu mir, weil sie von mir genommen ist. Das ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Die Kirche Jesu Christi geht aus Ihm, hervor und ist die äußere Gestalt seiner Gegenwart.

Göttliches Handeln ließ uns Glieder am Leibe Christi werden: Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen.[9] Die Kirche Jesu Christi besteht also nicht aus Individuen mit gleicher Zielsetzung oder identischer Meinung, sondern aus denen, die aus Wasser und Geist geboren[10] sind. Sie ist nicht mit rein soziologischen Begriffen zu beschreiben, ist keine menschliche Gründung, keine Vereinigung religiös gleichgesinnter Menschen, keine „Bedürfnisanstalt zur Befriedigung religiöser Neigungen frommer Menschen e.V.“, keine Organisation. Die Kirche ist ein Organismus und eine Gründung des dreieinigen Gottes. Sie ist Volk Gottes, Leib Christi, Tempel des Heiligen Geistes. Kirche, das ist die gegliederte Gemeinschaft derer, die an Jesus Christus glauben und durch die Heilige Taufe und den Heiligen Geist in den Leib Christi eingegliedert worden sind. Sie ist als Leib Christi mit Jesus Christus als ihrem Haupt verbunden.   

Der Zweck der Kirche

Im Hebr wird deutlich ausgesprochen, daß Jesus Christus unser Hoherpriester in der unmittelbaren Gegenwart Gottes ist: 

Die Hauptsache dessen aber, was wir sagen wollen, ist: Wir haben einen Hohenpriester, der sich zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel gesetzt hat, als Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes, das der Herr selbst aufgeschlagen hat, nicht etwa ein Mensch. Denn jeder Hohepriester wird eingesetzt, um Gaben und Opfer darzubringen; deshalb muß auch unser Hoherpriester etwas haben, was er darbringen kann.
(Hebr 8,1-3) 

Worin besteht der hohepriesterliche Opferdienst Christi im Himmel? 

Als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks stellt er im himmlischen Heiligtum dem Vater die Verdienste Seiner Leiden dar. Das tut er, indem er vor Gott unaufhörlich Sein für uns am Kreuz ein für allemal hingegebenes Leben geltend macht. Jesus Christus erscheint vor Gott als ein Lamm, das geopfert ist[11]. Er stellt sein am Kreuz in den Tod gegebenes Leben dem Vater dar. Weil Jesus Christus Opfer und Hohepriester in einer Person ist, ist sein eigenes Erscheinen vor Gott zugleich auch die Darbringung seines am Kreuz in den Tod gegebenen Lebens. 

Bei diesem hohepriesterlichen Wirken im Himmel hat Christus eine Gehilfin[12]: Seine heilige Kirche. Er ist das Haupt, sie der Leib: beide gehören zusammen. Deshalb schaut die Gemeinde auch nicht nur dem hohepriesterlichen Wirken ihres Hauptes von weitem zu, sondern nimmt lebendigen Anteil daran. Wie Christi Tod im Himmel verkündet wird, indem das Haupt sich vor Gott als das geopferte Lamm darstellt, so soll Christi Tod auch auf der Erde verkündigt werden. Das geschieht durch die Kirche als dem Leib Christi in der Feier des Heiligen Abendmahles.  

Denn sooft ihr von diesem Brot eßt und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
(1 Kor 11,26) 

Man beachte, daß Paulus nicht schreibt: „sooft ihr davon eßt und trinkt, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen“ als Zutat zur Abendmahlsfeier etwa in der Predigt. Paulus formuliert hier keine Aufforderung! Schon allein dadurch, durch daß die Gemeinde die Eucharistie feiert, verkündigt sie den Tod des Herrn. Christus, das Haupt, erscheint vor Gott im Himmel in Seinem geopferten Leib und mit Seinem vergossenen Blut.[13] So stellt auch die Gemeinde als Sein Leib Seinen Leib, für uns gebrochen, und Sein Blut, für uns vergossen, vor dem Vater dar.[14] Was Jesus Christus als hohepriesterliches Haupt im Himmel tut, tut er in und durch Seinen Leib auf der Erde. Darum ist der Liturg im eigentlichen Sinn der ganze Christus selbst: Haupt und Leib. Der himmlische und der irdische Gottesdienst sind darum nicht voneinander unabhängig oder vom Wesen her verschieden. Der Gottesdienst des Leibes Christi auf Erden und der des Hauptes im Himmel ist ein einziger unteilbarer Gottesdienst. 

Die Kirche kann also nicht Gottesdienst feiern, wie es ihr gefällt. So wie unsere Körperglieder unserem Haupt in allem gehorchen wenn sie gesund sind, soll es auch beim Gottesdienst der Kirche sein. Die Maßstäbe für richtig und falsch muß in allen Dingen, die die Kirche betreffen, der Herr selbst aufstellen und nicht menschliche Nützlichkeitserwägungen, Erwägungen des Zeitgeistes o. ä..  

Das Geheimnis des Gottesdienstes

Weiter oben wurde gesagt, daß die Dinge, die anderen ins Auge fallen, Zeichen für eine dahinterstehende Wirklichkeit sind, um die allein es geht. Der Gottesdienst ist nämlich nicht einfach nur das, was man mit den Augen sieht, nämlich eine Versammlung von Menschen, auf der religiöse Themen zur Sprache kommen. Von welcher dem menschlichen Auge verborgenen Wirklichkeit ist hier die Rede?  

Gottesdienst ist der Ort der Begegnung mit dem heiligen Gott und des Erscheinens vor Ihm ist. Sinn und Ziel allen Gottesdienstes ist die Gemeinschaft Gottes mit seinem Volk. Diese Gemeinschaft wird im Gottesdienst erneuert und bewahrt. Es kann nicht oft genug gesagt werden: „Gemeinschaft der Heiligen“ untereinander entsteht einzig und allein durch „Gemeinschaft am Heiligen“.[15] Der Gottesdienst ist nicht eine Zusammenkunft von Menschen, die sich versammeln, um ihre seelischen und religiösen Bedürfnisse zu stillen. sondern um ein „sich zu Gott hin versammeln“. 

Der Gottesdienst ist ein Hineingehen in die Gegenwart des heiligen Gottes. Schon im Gottesdienst des Alten Bundes - in der Stiftshütte bzw. im Tempel - war Gott selbst zugegen. Man denke hier nur an die Berufung des Jesaja.  

In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch.
(Jes 6,1-4)
[16] 

Hier wird deutlich, daß der himmlische und der irdische Gottesdienst nicht voneinander zu trennen sind. Himmel und Erde berühren und durchdringen einander im Gottesdienst. 

Gilt das aber auch vom Gottesdienst des neuen Bundesvolkes? Sollte dessen Gottesdienst weniger sein als der des Alten Bundes? Wird der Neue Bund nicht im Hebräerbrief der „bessere Bund“ genannt?[17] Wäre Gott im Gottesdienst der Gemeinde Jesu Christi nicht gegenwärtig, wäre das eine Verschlechterung gegenüber dem alten Bund. Der Neue Bund und seine Gottesdienste könnten dann wohl kaum ein „besserer Bund“ sein.

Nein, auch im Gottesdienst des Neuen Bundes ist Gott gegenwärtig! Jesus sagte zu seinen Jüngern: 

Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
(Mt 18,20)

Bibelstellen, die den Jüngern dabei in den Ohren geklungen haben, sind sicher folgende:

Ich bin der HERR, der mitten unter den Israeliten wohnt.
(4.Mose 35,34)

Laß dir nicht grauen vor ihnen; denn der HERR, dein Gott, ist in deiner Mitte, der große und schreckliche Gott.
(5.Mose 7,21)

Wenn Jesus in unsere Mitte ist, ist Gott selbst in unserer Mitte. Die wohl höchste Form der Anwesenheit des Herrn in unser Mitte ist die in, mit und unter Brot und Wein in der Hohen Feier der Eucharistie. Es mag für Menschen ärgerlich sein, daß der Herr nicht nur „spirituell“, „im Geiste“, in ihren Gedanken (kraft ihres An-Ihn-Denkens) unter ihnen sein will, sondern geradezu „materiell“. Doch sollten wir uns freuen und dankbar über diese „Erniedrigung“ Christi staunen. Das ist „besser“ als im Alten Bund. 

Wichtig ist auch das Zeugnis der Offb. Gerade hier wird deutlich, daß der Gottesdienst im Himmel und der auf der Erde im Grunde ein und derselbe Gottesdienst sind.[18] Aller Gottesdienst auf der Erde ist ein Teil des Gottesdienstes im Himmel. Man sagt sicher nicht zuviel wenn man behauptet, daß der Gottesdienst der Kirche der „Himmel auf Erden“ ist. Himmel und Erde berühren einander im Gottesdienst und durchdringen sich. Die Kirche als Braut und „Gehilfin“ Christi tut ihren Dienst an einem Altar auf Erden, der ein Bild des goldenen Altar im Himmel ist, von dem wir in der Offenbarung hören.[19] 

Wir müssen in diesem Zusammenhang an das denken, was wir vorhin hörten: Jesus Christus ist das Haupt, die Kirche Sein Leib. Was das hohepriesterliche Haupt im Himmel tut, tut Er in und durch Seinen Leib auf der Erde. Der Gottesdienst der Kirche auf Erden und der unseres Hohenpriesters im Himmel ist nicht voneinander unabhängig oder vom Wesen her verschieden. Es ist Ein einziger unteilbarer Gottesdienst. 

Was folgt daraus? Im christlichen Gottesdienst werden somit die Grenzen zwischen Himmel und Erde fließend. Raum und Zeit sind relativ, vor allem im Gottesdienst.

  • Die Zeit, weil Gottes vergangenes und zukünftiges Heilshandeln Gottesdienst Gegenwart wird. Die Feier des Herrenmahles zum Beispiel ist Vergegenwärtigung des in der Vergangenheit geschehenen Todes Jesu und Anbruch des zukünftigen Hochzeitsmahles des Lammes. 

  • Der Raum, weil Er selbst gegenwärtig ist. Himmel und Erde durchdringen sich. 

Der einfachen Tatsache, daß der große und schreckliche Gott in unserer Mitte ist, er, vor dem das Universum nichts ist, dieser dem Auge verborgenen Realität ist das geschuldet, was andere an unseren Gottesdiensten so besonders finden. Das ist die  - dem menschlichen Auge verborgene - Wirklichkeit, um derentwillen wir unsere Gottesdienste so feiern, wie wir sie feiern und von der am Anfang die Rede war. Es ist das Geheimnis daß der, den der Himmel und aller Himmel Himmel nicht fassen können, inmitten Seiner Gemeinde ist. Die Dinge, die anderen ins Auge fallen, sind Zeichen für diese Wirklichkeit, um die allein es geht. 

Während die aus der reformierten Theologie stammenden Gottesdienstformen (und die Gemeinschaftsstunde gehört dazu!) Gottes Dabeisein eher in Form einer Videoübertragung bezeichnen würden, die Gott im Himmel sich ansieht, wissen wir: ER SELBST ist da. Mittendrin, statt nur dabei! Wenn man das begriffen hat, kann man sich alles weitere selbst ableiten und erklären:

  • Wir stehen zu den Lesungen auf, weil ER SELBST durch den Mund Seines Dieners zu uns spricht wie zu seinen Jüngern vor 2000 Jahren. 

  • Wir singen dem Gegenwärtigen das Dreimalheilig wie die Seraphim in Jes 6. Wir begrüßen den zu uns kommenden König wie die Menge damals am Palmsonntag. 

  • Wir knien nieder vor Dem, der unter der Gestalt von Brot und Wein unter uns ist. 

Alles, was wir tun tun wir weil wir wissen: ER SELBST ist da. Unser gottesdienstliches Tun kann Gottes Gegenwart nicht „machen“.[20] Aber all unser gottesdienstliches Tun rechnet fest damit, daß ER SELBST da ist.

 

Schluß

Der Prophet Hesekiel sah in einer Vision einen Fluß aus dem Tempel entspringen.[21] „Das Wasser floß unterhalb der rechten Seite des Tempels herab, südlich vom Altar.“ Dieser Strom floß lebenspendend durch die Wüste in das Tote Meer: 

Es standen sehr viele Bäume am Ufer auf beiden Seiten. Und der Engel sprach zu mir: Dies Wasser fließt hinaus in das östliche Gebiet und weiter hinab zum Jordantal und mündet ins Tote Meer. Und wenn es ins Meer fließt, soll dessen Wasser gesund werden, und alles, was darin lebt und webt, wohin der Strom kommt, das soll leben. Und es soll sehr viele Fische dort geben, wenn dieses Wasser dorthin kommt; und alles soll gesund werden und leben, wohin dieser Strom kommt.
(Hes 47)

Das bedeutet, daß jeder Segen seinen Ursprung in der Feier des Gottesdienstes am Altar Gottes hat. Er ist das Herz der Kirche. Ein schlagendes Herz zeigt: Leben ist da ist und wird bewahrt. 

Gott schenke es uns, daß wir immer besser erkennen, wo die Quellen des Segens liegen, sie nicht verachten und reichen Segen von Ihm empfangen.

Matthias Niche

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[1] Albrecht, Christoph: Einführung in die Liturgik, EVA 3., veränderte Auflage 1983

[2] Diese Bedeutung des Wortes „Liturgie“ hat sich in den Orthodoxen Kirchen des Ostens bis heute erhalten.

[3] EEK, S. 1024

[4] Man verzeihe mir das harte Wort. Ich habe einmal den Gottesdienst einer Pfingstgemeinde erlebt, in dem es offensichtlich keine Ordnungen gab - wohl „um den Geist nicht zu dämpfen“. Als dann alles durcheinander schrie, sang, jammerte und weinte, kam ich mir tatsächlich wie in einem Irrenhaus vor. (1 Kor 14,23)

[5] kat¦ taxin = der Reihe nach, in rechter Ordnung (Bauer, W.: Wörterbuch zum NT)

[6] 1 Clem 40,1-3

[7] EEK, S. 1025

[8] Beide Zitate bei: van Acken S.J., Bernhard: Konvertiten-Katechismus; Verlag Bonifacius-Druckerei Paderborn 14. Auflage 1958; S. 88

[9] 1 Kor 12,13

[10] Joh 3,5

[11] nicht: das geopfert wird. In Offb 5,6.12 steht ¢sfagmnon = Perfekt Partizip Passiv, nicht Indikativ Passiv

[12] Gen 2,18 (!)

[13] Blut = Leben (Gen 9,4f.; Lev 17,11.14; 2Sam 23,17; Spr 1,18; Hes 3,18; 16,6, 33,5 Es soll damit die Tatsache zum Ausdruck gebracht werden, daß er sein am Kreuz in den Tod gegebenes Leben jetzt im Himmel seinem Vater darstellt. Sein Leben (bzw. Blut) ist aber nicht etwas neben oder außer ihm. Weil Christus Opfer und Hohepriester in einer Person ist, so ist sein eigenes Erscheinen auch zugleich die Darbringung seines in den Tod gegebenen Lebens.

[14] Die Frage, ob die Gemeinde das, was Jesus Christus im Himmel tut, auf Erden sakramental vollzieht, nämlich Christi Leib und Blut vor Gott darzustellen, ist eng mit anderen Fragen verknüpft. Zu nennen wäre da zuerst die Frage, ob eine Gemeinde denn überhaupt Christi Leib und Blut hat, m. a. W. die Frage nach Konsekrationsvollmacht, nach dem Ritus bei der Feier des Heiligen Abendmahls u.a..

[15] communio sanctorum (Apostolisches Glaubensbekenntnis) kann sowohl als „Gemeinschaft der Heiligen“ als auch als „Gemeinschaft am Heiligen“ übersetzt werden.

[16] Johannes erklärt, daß es der Sohn war, der Jesaja erschien: „ Das hat Jesaja gesagt, weil er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm.“ Joh 12,39-41

[17] 7,22; 8,6

[18] Offb 4,8-11; 5,8-14; 7,9-12; 11,15-19; 14,1-3; 15,2-4

[19] 6,9; 8,3.5; 9,13; 14,18; 16,7

[20] Das ist der Hintergrund der Magie. Durch festgelegte Rituale und Worte gewinnt der Mensch Macht über  Götter und Geister. Sie müssen kommen und dem Menschen dienen.

[21] Auch im letzten Kapitel der Offb wird dieser Fluß erwähnt. 

  

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