| |
Den folgenden Text brachte die
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
in ihrer Ausgabe vom 11. 9. 2005:
Den Christen eine Torheit
Eine neue Übersetzung verbessert die
Bibel und überführt Jesus diskriminierender Äußerungen
Die Theologen haben die Bibel nur
unterschiedlich interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern. So sehen es
jedenfalls Teile der evangelischen Kirche. Deshalb wird es bald eine politisch
korrigierte »Bibel in gerechter Sprache« geben. An diesem Übersetzungsvorhaben
wird seit 2001 an der Evangelischen Akademie Arnoldshain (Taunus) gearbeitet; im
nächsten Jahr soll es abgeschlossen sein.
Als Dr. Martin Luther die Wittenberger Version der Schrift vorlegte, machte man
ihm den Vorwurf, die im »Sendbrief vom Dolmetschen« erläuterten Grundsätze
seiner Verdeutschung begründeten eine »newe Schwermerey«. Unversehens wurde
daraus eine neue Kirche. So weit wird es mit der Arnoldshainer Bibel nicht
kommen, denn die reformatorischen Tendenzen, denen sie zur Sprache verhelfen
soll, gibt es längst. Alle Mitwirkenden konnten umstandslos darauf verpflichtet
werden, bei ihrer Arbeit »feministische und befreiungstheologische Diskurse und
die Diskussion des christlichen Antijudaismus zu berücksichtigen«. Auf diesen
Traditionen läßt sich ebenso aufbauen wie auf der amerikanischen Debatte um »political
correctness« und »inclusive language«.
Letztere ist mit »gerechter Sprache« gemeint: eine Sprachregelung, die
verhindert, daß sich Angehörige bestimmter gesellschaftlicher Segmente
linguistisch ausgegrenzt oder herabgesetzt fühlen könnten. In dieser Sprache
sollen sich alle eingeschlossen fühlen, jede potentielle Diskriminierung ist
abzustellen. Wirklich jede, zum Beispiel auch die Diskriminierung der Pharisäer
und erst recht die ihrer Weiber. Die Vorwürfe Jesu, die Mitglieder dieser Sekte
handelten ihren Glaubenssätzen zuwider, waren offensichtlich zu pauschal: »Die
verallgemeinernde Sprache des Textes, wenn sie in der Übersetzung wiederholt
wird, hat dazu geführt, daß ,die Pharisäer‘, weil sie Pharisäer sind, als
Heuchler, die ihre eigene Lehre nicht befolgen, verstanden werden«, erläutert
die feministische Theologin Luise Schottroff mit Blick auf das Evangelium des
Matthäus. Dagegen wird ihre eigene Übertragung die »pharisäischen Männer und
Frauen« retrospektiv in Schutz nehmen.
Diese Art der Übersetzungskritik ist, wie man sieht, eine Textkritik im
Wortsinne. Nicht Luther liegt falsch und auch nicht Erasmus, sondern Matthäus
und letzten Endes Jesus selbst. Insofern unterscheidet sich die Arnoldshainer
Bibel schon im Ansatz von den meisten der vorangegangenen Bemühungen um einen
neuen oder revidierten deutschen Text der Testamente. Und während evangelikale
Bewegungen darauf aus sind, buchstäblich an das zu glauben, was geschrieben
steht, soll in der »Bibel in gerechter Sprache« endlich das zu lesen sein, woran
ihre Autoren längst glauben: zum Beispiel an die Gleichberechtigung von
Pharisäerinnen und Samaritern.
Für dieses Ziel steht ein Herausgeberbeirat ein, dem der hessen-nassauische
Kirchenpräsident Peter Steinacker vorsitzt. Die Evangelische Kirche in Hessen
und Nassau trägt über die Arnoldshainer Akademie auch einen großen Teil der
Kosten; Unterstützung kam darüber hinaus vom Bundesfamilienministerium unter
Christine Bergmann. Die Übersetzungsarbeit kann aber von Wohlmeinenden und
Gutgläubigen auch gezielt gefördert werden: Die vier Evangelien wurden auf 4500
bis 7500 Euro taxiert, die »ApostelInnengeschichte« auf 7000 Euro. Der Brief des
Judas war schon für 500 Euro zu haben. Für Jesaja und Jeremia werden noch
Sponsoren gesucht.
Allemal unbezahlbar müssen die im mehrjährigen Arbeits- und Diskussionsprozeß
gewonnenen hermeneutischen Erfahrungen der Mitwirkenden gewesen sein: »Nicht ich
lese die Bibel, sondern sie liest mich«, beschreibt etwa Detlef Dieckmann-von
Bünau sein sprachmystisches Erlebnis. Der Berliner Theologe hat sich das Buch »Kohelet«
(vulgo »Prediger«) vorgenommen. »Ich sah Knechte auf Rossen und Fürsten zu Fuße
gehen wie Knechte«, heißt ein Vers dieses Buches bei Dr. Luther. Daß die
Wortwahl des Reformators nach bald fünfhundert Jahren nicht mehr ohne weiteres
verständlich ist, war bisher der Hauptantrieb aller Revisionsbemühungen.
Übersehen wurde dabei, wie in dieser Sprache die Gefühle der Fürstinnen und
anderer gesellschaftlicher Randgruppen systematisch verletzt werden. Dr.
Dieckmann-von Bünau macht dem ein Ende: »Ich habe schon Angestellte auf Pferden
gesehen – und Hochgestellte, die wie Angestellte auf der Erde gingen!« lautet
also die gleiche Stelle in der – noch vorläufigen – Neufassung.
Ist das Ende der ungerechten Welt nahe? Der »Herausgabekreis« der neuen Bibel
warnt vor überzogenen Erwartungen. »Eine Bibelübersetzung in gerechter Sprache
soll nicht dazu führen, daß sich Frauen in einer patriarchalen Welt heimisch
fühlen«, meint die Heidelberger Alttestamentlerin Dorothea Erbele-Küster. Ein
Unbehagen in der männlich dominierten Kultur muß bleiben, solange diese nicht
durch eine neue Ordnung abgelöst werden kann, in der die Grundsätze der
Gleichheit und Schwesterlichkeit herrschend geworden sind. Bis es so weit ist,
bietet der Brief des Paulus an die Römerinnen und Römer (in der Übersetzung von
Claudia Janssen) stillen Trost: »In unserer Ohnmacht steht uns die Geistkraft
bei . . . Die Geistkraft selbst tritt für uns ein mit wortlosem Stöhnen.«
Quelle:
http://nousweek.blogspot.com/2005_09_01_archive.html
oben
|