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+++ Das erste, was die wartende junge Kirche nach der Himmelfahrt Jesu getan hat, war – abgesehen von ihren ständigen Gebeten – daß sie die Amtsfrage angegangen ist. Da ist man
versucht, zu fragen: Hatten sie wirklich nichts Wichtigeres zu tun?
Offensichtlich nicht!
Petrus benutzt hier mit "muß" (griechisch: deī) das gleiche Wort, daß Jesus gebrauchte, als Er von der absoluten Heilsnotwendigkeit Seines Leidens, Sterbens und Auferstehens sprach:
Der Apostel Petrus beruft sich – und auch das ist vielleicht überraschend – nicht auf seine private Meinung über das, was in der momentanen Situation nützlich ist, sondern er beruft sich ausdrücklich auf die Hl. Schrift. In der Hl. Schrift findet er das Schicksal des Judas vorgezeichnet:
Über das vorhergesagte Schicksal des Judas wollen wir hier nicht weiter reden. Vielleicht nur über den merkwürdigen Umstand, daß Matthäus in seinem Evangelium schreibt, daß Judas sich erhängt hatte, Petrus hier aber sagt, er sei vornüber gestürzt und mitten entzwei geborsten, so daß alle seine Eingeweide hervorquollen. Widerspricht sich hier nicht die Hl. Schrift? Nein, natürlich
nicht! Petrus benutzt hier lediglich eine sehr drastische Ausdrucksweise, die
auch heute noch gebräuchlich ist: Wenn jemand einen besonders elenden Tod hatte,
sagt man nämlich noch in unseren Tagen, er sei "krepiert". Wörtlich heißt
"krepiert" allerdings "geplatzt". Niemand würde das jedoch wortwörtlich
verstehen und denken, der Betreffende sei buchstäblich "geplatzt" . +++ Petrus findet aber in der Hl. Schrift nicht nur eine Voraussage auf das Geschick des Verräters, sonder auch eine Anweisung darüber, wie man nun zu verfahren hat:
Hier ist es nun notwendig, über das "Amt" zu sprechen. Oft wird behauptet, daß es ein "Amt" im NT angeblich nicht gegeben hätte, sondern daß es nur verschiedene Gnadengaben gegeben hätte und die mit diesen Gnadengaben beschenkten dann die jeweils anfallenden verschiedenen "Dienste" in den Gemeinden getan hätten. Das ist nicht so
ohne weiteres von der Hand zu weisen. Aber ein Amt ist doch etwas anderes als
eine Gnadengabe, ein Charisma. Verdeutlichen wir uns den Unterschied an einem
bewußt weltlichen Beispiel: Wenn jemand das Amt des
Oberbürgermeisters der Stadt Cottbus innehat, ist es relativ gleichgültig, ob
dieser Mensch begnadet ist ist oder ein "individuelles" Charisma hat. Es wird
gewiß Leute geben, die tatsächlich begnadeter
und begabter sind als der jeweilige Amtsinhaber (oder sich zumindest dafür halten). Aber sie haben nicht
das Amt des Oberbürgermeisters inne. So auch in der Hl.
Schrift: Wenn ein Amtsinhaber wegfiel, fiel nicht das Amt dahin. Es gilt das
Prinzip: "Sein Amt empfange ein anderer". Nicht aber: "Seine
Gnadengabe empfange ein anderer"! Es gibt dementsprechend in der Bibel auch
eine Nachfolge im Amt (die später als "Sukzession" bezeichnet wurde),
aber keine im Charisma. Das Amt des Hohenpriesters oder Königs Ämter wurden schon im Alten Testament unter der Beteiligung von Menschen weitergegeben. Dies geschah im Zusammenhang mit einer Waschung und einer körperlichen Salbung, die der neue Hohepriester oder König durch Menschenhand empfing. Ein Charisma aber, etwa die Gnadengabe der Prophetie, wurde wohl ncht unter Beteiligung von Menschen verliehen, sondern immer direkt von Gott geschenkt. Wir können also festhalten, daß es einen Unterschied gibt zwischen einem überindividuellen Amt, das über den Tod des jeweiligen des einzelnen Trägers hinaus fortbesteht und einem vorübergehenden Dienst, der aufgrund einer individuellen Begabung getan wird. Darzulegen, daß Amt und Charisma natürlich keineswegs im Gegensatz zueinander stehen, würde den Rahmen dieser Ausführungen allerdings bei weitem sprengen, so daß hier darauf verzichtet werden soll. +++ Es gibt aber noch mehr erstaunliche Dinge für uns in diesem Bericht des Lukas zu entdecken: Bemerkenswert ist,
daß das Wort "Los" hier im Bericht des Lukas zweimal vorkommt. Das wird
allerdings nur in der Elberfelder Übersetzung deutlich: Wo Petrus nach der
Lutherübersetzung von dem Verräter Judas sagt, daß er zu den Aposteln gehört und
dieses Amt mit ihnen empfangen hatte, übersetzt die Elberfelder den Urtext genauer, daß
Petrus gesagt hat, Judas wäre den Aposteln zugezählt gewesen und hatte das "Los
dieses Dienstes" empfangen mit den übrigen Aposteln. Die Art und Weise,
wie Matthias zu seinem Amt kam, machte in der Kirchengeschichte meines Wissens
nach keine Schule. Warum hat Lukas dann davon berichtet? Ein Rechtsanspruch
wäre nur möglich, wenn ein kirchliches Amt ein von Gott jeder Person
zugestandenes Recht wäre oder wenn die "menschlichen Anlagen" sich nicht ohne es
voll entfalten könnten. Wohl um das ganz deutlich zu machen, daß niemand einen Rechtsanspruch auf ein kirchliches Amt, berichtet Lukas von dieser merkwürdigen Art und Weise der Amtsbestellung durch das Los. Später verfuhr man anders: Da bestellte der Herr nicht mehr durch das Los die in ein Amt, "die Er wollte", sondern durch die schon vorhandenen Amtsträger: Die Apostel stellten später die sieben Diakone ins Amt. Die Apostel Barnabas und Paulus wählten den Gemeinden Presbyter aus. (Apg 14,23) Aus dem Wort Presbyter entstand später das deutsche Wort "Priester". Und der Amtsträger Titus wurde vom Apostel Paulus in Kreta zurückgelassen, um "was noch mangelte, in Ordnung bringen und in jeder Stadt Älteste einzusetzen." (Tit 1,5) Titus hatte als Vorgesetzter von Presbytern ein Amt inne, das man als Bischofsamt bezeichnen kann. +++ Später wurden also
Amtsträger nicht durch Losentscheid, sondern durch die Apostel in ihr Amt
eingesetzt. Da mag man nun verzweifeln und fragen: Was ist denn aber nun, wenn
es keine Apostel mehr gibt? In den eben erwähnten Bibelstellen können wir sehen, wie das passieren sollte. Paulus beauftragte Titus nämlich, "was noch mangelte, in Ordnung bringen und in jeder Stadt Älteste einsetzen". Titus war wohlgemerkt kein Apostel. Er war sozusagen ein Bischof. Das, was die Apostel taten, sollten also die Bischöfe fortführen. Und zwar schon zu Lebzeiten der Apostel, denn die Kirche Gottes breitete sich ja aus und die Apostel konnten nicht überall gleichzeitig sein, um Amtsträger der Kirche zu ordinieren. Sozusagen traten die Bischöfe an die Stelle der Apostel, natürlich ohne daß die Bischöfe Apostel wurden. Es gibt Unterschiede zwischen einem Apostel und einem Bischof. Ein wesentlicher Unterschied ist zum Beispiel, daß ein Apostel für die ganze Kirche zuständig war, während ein Bischof nur für einen bestimmten Bereich der Kirche zuständig ist. +++ Daß die Bischöfe Apostelnachfolger sind, wird übrigens auch hier in unserem Predigtext angedeutet, wenn man darauf sieht, wie das "Amt" bezeichnet wird, das einer der beiden empfangen soll. Einmal in Vers 25: Apostelamt, griechisch: apostolé. Denn die Gemeinde bittet Gott vor dem Losentscheid, zu zeigen, welchen er erwählt hat von den beiden, damit er "diesen Dienst und das Apostelamt empfange". Die andere Bezeichnung für dieses Amt, auf die dieses Gebet Bezug nimmt, findet sich in dem alttestamentlichen Zitat, das Petrus anbringt. Luther übersetzt:
Die Elberfelder ist wieder genauer. Die alttestamentliche Stelle, die Petrus hier zitiert, spricht nämlich nicht allgemein von einem "Amt", sondern genauer vom "Aufseheramt". Es heißt also wortwörtlich: "Sein Aufseheramt empfange ein anderer!" Das griechische Wort für "Aufseheramt", das wir hier im Urtext des NT finden, lautet: episkopé. Darin steckt das Wort Epískopos, aus dem im Deutschen das Wort "Bischof" wurde. Einmal wird Amt, das weitergegeben werden soll, also als "Apostelamt" bezeichnet, ein andermal als "Bischofsamt". +++ Nun könnte man einwenden: "Das kann ja gar nicht sein, daß ein Bischof Amts-Nachfolger der Apostel ist. Denn es geht ja hier bei der Nachwahl des Matthias ausdrücklich um Augenzeugenschaft? Das ist ja für einen Menschen, der damals nicht dabei war, gar nicht mehr möglich!" Dazu ist zu sagen,
daß auch Petrus im strengen Sinn des Wortes kein "Zeuge der Auferstehung" war.
Denn auch Petrus war nicht im Grab dabei, als Jesus
auferstand. Auch die Grabwächter des Hohen Rates, die sozusagen am dichtesten dran waren,
haben den Vorgang der Auferstehung selbst nicht gesehen. "Zeugen der
Auferstehung" gibt es eigentlich überhaupt keine, wenn man drunter Zeugen des
Vorganges der Auferstehung meint. Es geht bei dem was Petrus hier sagt, also mehr um eine Aufgabenbeschreibung: der ins Amt berufene soll als Zeuge der Auferstehung - das heißt: als Zeuge des Auferstandenen - den "ganzen Jesus" und sein ganzes Werk "angefangen von der Taufe des Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns hinweg aufgenommen wurde" verkündigen. +++ Es ist für
uns Evangelische ein
erstaunlicher Befund, daß das Apostelamt auf Nachfolge (= Sukzession) angelegt
ist. Einen Hinweis darauf gibt Jesus allerdings schon im Missionsbefehl
(Mt 28):
Wortwörtlich betrachtet richtet sich dieser
Befehl Jesu tatsächlich nur an die elf
Apostel, die Er zu sich auf den Berg beschieden hatte. Das erstaunt, denn auch damals schon
gab es mehr Christen als die Elf. Der Missionsbefehl schließt mit der erstaunlichen Zusage:
Hat Jesus damit
den elf Aposteln ewiges irdisches Leben verheißen? Gewiß nicht! In Apg 1 wird dieses Nachfolgeamt als "episkoé" bezeichnet, als Bischofsamt. +++ Erstaunlich ist für evangelische Christen, wie wichtig für die junge Kirche die apostolische Nachfolge, die apostolische Sukzession war, denn die erste Aktivität der Urkirche, von der die Apostelgeschichte berichtet, betrifft eben genau die apostolische Sukzession. Wer das als unwichtig abtun möchte, der tue es. Wir können es nicht hindern. Er wisse aber: Es kann nicht ohne dramatische Auswirkungen bleiben, daß das, was damals so überaus wichtig war, heute verpönt ist und als sektiererisch verschrien wird. Wir aber sollten Gott danken dafür, daß Er auch Seine evangelische Christenheit in diesen Tagen der beginnenden Endzeit nicht vergessen hat und wenigstens in kleinen Kreisen gutwilliger evangelischer Christen offene Ohren gefunden hat. Matthias Niche
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